Roundup: Hybrid Talks XXVI »Rhythmus«

Rhythmen haben etwas mit der Fähigkeit zu tun, Ähnliches wiederzuerkennen. Im physikalischen Minimalmodell des Pendels wäre das die Wiederkehr des Ausgangspunktes, der gezählt und in eine Funktion der Zeit integriert werden kann, um ein Maß der Frequenz zu liefern. Das wäre abstrakter, formalisierter Rhythmus, der nun im Voraus berechenbar ist. Mit formalisierter, erwartbarer Wiederkehr operiert die Welt um uns. Ein Blick auf die Uhr zeigt immer wieder dasselbe Ziffernblatt – und egal, welch’ einschneidende Ereignisse gerade stattfinden mögen, Edeka schließt um 22 Uhr, die Ampel springt nach derselben Zeit auf Rot und die U9 kommt in fünf Minuten wieder. Kein Beten hilft da, keine individuelle Dringlichkeit wird unsere Rhythmen je beirren in ihrer verlässlichen Unerbittlichkeit. Tatsächlich fallen Phänomene der Wiederkehr daher nur dann auf, wenn die eingeübten Erwartungen enttäuscht werden. Wer auf die Ringbahn angewiesen ist, bemerkt erst dann ihren Rhythmus, wenn die S41 mit ihrer Verspätung enttäuscht. Wer nach einer durchtanzten Nacht frühmorgens nachhause kommt, wird am nächsten Tag mit seiner Trägheit den Rhythmus der Mitmenschen enttäuschen.

Standardisierung, Rhythmisierung, Institutionalisierung – Frau Prof. Dr. Dorothee Brantz vom Center for Metropolitan Studies an der TU Berlin weiß von diesen Entwicklungen im urbanen Raum einiges zu berichten. Eine zentralisierte Zeit, die nach wie vor vieles strukturiert, ist zusammen mit der Industrialisierung und der Ausweitung großer, logistischer Netzwerke entstanden. Deren Dimension konnte zunächst nur mit einer strengen Taktung erzwungen und aufrecht erhalten werden.

Heute, wo die Netze sich stabilisiert haben, rückt ein anderer Umgang mit den Rhythmen der Umgebung in den Fokus. Bei aller Rationalität offenbaren sich Rhythmen durchaus als wandelbar und viel eher an zyklische Abläufe im Organismus oder dynamischen Strukturen eines fortbestehenden, metastabilen Gleichgewichts angelehnt. Politische Dimension bekommt solch eine Reflexion, wenn über die Analyse bestehender Rhythmen hinaus bemerkbar wird, wer von diesen Mustern nicht beachtet wird. Kinder, alte Menschen, Obdachlose, Arbeitslose und viele andere durchkreuzen dann als anachronistische Erscheinungen den konsensuellen Rhythmus, fordern ihn heraus, enttäuschen ihn und sorgen bestenfalls für neue Strukturen.

Über dies Wechselspiel der organischen Zyklen mit äußeren Zeitgebern kann Prof. Dr. Achim Kramer aus der chronobiologischen Forschung an der Charité aus physiologischer Perspektive tiefgehend informieren. Besonders spannend hierbei sind Phänomene der Erwartungsbildung. Anschaulich ist das Beispiel der Sonnenblume, die den morgendlichen Sonnenstand bereits in noch kompletter Dunkelheit durch Ausrichten der Blätter zu antizipieren versteht. Sie »weiß«, wann und wo die Sonne erscheinen wird. Unschwer lässt sich erkennen, dass funktionale Zusammenhänge in unserer Umgebung auf eben solcher Ausbildung von Erwartungen beruhen. Damit das öffentliche Verkehrssystem funktioniert, muss die Beförderung erwartbar sein. Der menschliche Körper besteht aus vielerlei solcher Erwartungen, die über den Lichtrhythmus am zuverlässigsten zu synchronisieren sind. Ein gesunder Körper lebt einen Rhythmus, der diese Erwartungen synchron halten kann. Erkrankungen sind dann Resultate der Desynchronisation, Ausfallerscheinungen einer enttäuschten Erwartung, psychische wie physische Ungleichgewichtserscheinungen.

Für Synchronisations- und Desynchronisationserscheinungen interessiert sich auch die Physik, weshalb der Vortrag von Jakub Sawicki aus der Nichtlinearen Dynamik und Kontrolle direkten Anschluss findet. Die Schimären sind dabei das Stichwort, mythische Kreaturen, hybride Kreuzungen, Mischwesen. Ebenso wie seine Vorredner, interessiert Jakub Sawicki sich für Phänomene, die im Grenzbereich zwischen Synchronisation und Desynchronisation liegen – Mischformen eben. Dass dieses Thema jedoch innerhalb der alt-ehrwürdige Disziplin der Physik, Behausung der klassischen Mechanik und der Hoffnung auf die ewig gültigen Gesetze des Universums, Behandlung findet, ist bemerkenswert. Nebenbei: alltagssprachlich wird der Begriff der Schimäre auch für Täuschungen verwendet, für imaginäre, unwirkliche und damit also unwissenschafliche Erscheinungen – die wissenschaftliche Behandlung dieses Feldes ist durchaus nicht unumstritten, was sie jedoch umso interessanter macht. Es geht hier um den Zusammenhang von Chaos und Ordnung, zwei reale Phänomene der Physik, deren Zusammenhang dem Physiker jedoch Rätsel aufgibt. Der Wissenschaftler Christiaan Huygens formulierte bereits im 17. Jahrhundert eine Beobachtung der Synchronisation zweier Pendel, die durch eine strukturelle Kopplung zustande kam. Heutige Labortechniken erlauben es, weitaus komplexere gekoppelte Systeme auf solche Erscheinungen hin zu befragen. So kann eine Zahl von 250 gekoppelter Pendel ausgewertet werden. Das Ergebnis ist ein verblüffender und rätselhafter Zusammenhang von chaotischen und geordneten Erscheinungen im Wechselspiel. Durchaus eine Enttäuschung für die Gesetze der Physik – aber vielleicht auch eine Enttäuschung, die nach neuen Gesetzen verlangt.

Den Abschluss des in seinen vielen Querverbindungen anregenden Abends macht Prof. Rhys Martin vom Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz, mit einer Performance, die die Qualitäten der zuvor umkreisten Schimäre zu erfassen scheint. Seine »Slam Performance Lecture« machte erfahrbar, welche Anstrengung doch die Aufrechterhaltung von Rhythmen darstellen kann. Immer wieder scheitern die Versuche, Muster auszubreiten, Bewegung und Wort zu koordinieren, den Körper mit sprachlicher Semantik zu synchronisieren. Gerahmt wird die Performance von einer Art Projekt: Dem Aufsagen eines gefährlichen Zungenbrechers, der den Sprecher nur zu leicht in die Verlegenheit der Obszönität bringt. Prof. Dr. Stefan Weinzierl, der Moderator des Abends, macht zu Beginn der Performance den erfolgreichen, wenn auch langsam abgelesenen Versuch. Die rhythmischen Vorbereitungsübungen Martins führen auf das flüssige Aufsagen desselben Zungenbrechers hin. Ob dies erfolgreich war, enttäuschte oder in seiner Enttäuschung Erfolg hatte...? Hier der der Zungenbrecher in seiner Gänze. Bitte laut und schnell vortragen:

»I am not a pheasant plucker,
I'm a pheasant plucker's son.
I am only plucking pheasants
'till the pheasant plucker comes.«

Wir bedanken uns bei allen SprecherInnen und bedauern, dass Prof. Daniel Ott aufgrund von Krankheit absagen musste. Wir hoffen ihn ein anderes Mal dabei zu haben, um Genaues über seine interdisziplinäre Arbeit als Komponist, Pianist, Theaterschaffender und Autor erfahren zu können.

– Benedikt

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