Roundup: Hybrid Talks VIII »Raumwahrnehmung«

Wir schlafen, essen, arbeiten und verbringen einen Großteil unserer Freizeit in Räumen. Sie sind oft mehr als nur eine Unterkunft. Sie können ein Zuhause oder ein Erinnerungsort sein. Räume beeinflussen unsere Gedanken, Gefühle und Stimmungslagen – oftmals, ohne dass wir es bemerken. Wir nehmen Raumstrukturen als selbstverständlich wahr, doch schon geringfügige Änderungen des Raumkonzepts können positive oder negative Reaktionen bei ihren NutzerInnen hervorrufen.

Wie beeinflussen Räume unsere Wahrnehmung? Welche Auswirkungen haben sie auf unsere Stimmung? Inwiefern reflektieren Raumstrukturen die Gefühlslage des Raumnutzers? Bei den achten Hybrid Talks zum Thema »Raumwahrnehmung« am 30. Mai 2013 im Hermann-von Helmholtz-Bau der PTB haben wir gemeinsam mit fünf ExpertInnen aus Architektur, Stadtplanung, Gestaltung und Kunst nach Antworten zu diesen Fragen gesucht und sind fündig geworden:

Früher war es viel schöner in Berlin-Gropiusstadt. Damals ist man gern durch die Gropiuspassagen gebummelt, hat die Nachbarn im Rosengarten getroffen oder einfach die Ruhe im Stadtsüden genossen. Heute ist wenig davon geblieben. Stattdessen wohnt man Tür an Tür mit Fremden. Außerdem gibt es viel Müll. – So einige Aussagen aktueller AnwohnerInnen. Bietet die früher beliebte Gropiusstadt wirklich keine attraktiven Heimatbilder mehr? Prof. Jörg Stollmann (TU Berlin) hat mit studentischer Unterstützung bei den BewohnerInnen nachgefragt und sie in ein stadtplanerisches Projekt einbezogen. Fakt ist: Kaum jemand möchte wegziehen, denn hier haben sie sich Inseln geschaffen, auf denen sie sich wohl fühlen und zu Hause sind. Eine Antwort, die in aller Unvollkommenheit für Gropiusstadt spricht.

Räume entstehen durch die Beziehung der Dinge zum Betrachter. Klingt komisch? Stimmt aber! Die Gegenstände in Räumen sind mit spezifischen emotionalen Bedeutungen aufgeladen. Dieser Bedeutungsüberschuss verleiht dem Raum eine eigene Stimmung, die je nach betrachtender Person variiert. Prof. Alexandra Ranner (UdK Berlin) erforscht solche besonderen Raumwahrnehmungen mithilfe von »Raumkisten«. Diese künstlich gestalteten Räume mit speziell angefertigten Interieurs suggerieren billige Absteigen oder chaotische Jugendzimmer – je nach Blickpunkt und Gefühlszustand der Rezipienten.

Die Reibung zwischen Architektur und menschlichem Nervensystem ist maßgebend für die Raumwahrnehmung. Die Gesamtheit unserer Nerven- und Gliazellen gruppiert Eindrücke und schafft somit Räume, wo keine sind. Architektur gelingt es, unsere Raumwahrnehmung zu modellieren – Matthias Graf von Ballestrem (TU Berlin) sieht darin eine der Grundlagen geistigen Lebens.

Was ist ein Raum? Jede Raumtheorie nennt auf diese Frage eine andere Antwort. In der Klangkunst fällt der akustische mit dem visuellen Raum zusammen. Mit der Installation »Between | you | and | me« verdeutlicht Anke Eckhardt (UdK Berlin) diese Raumdefinition: Eine multisensorische, transparente Wand wird für die Rezipienten erst sicht- und hörbar, wenn sie sie berühren. Die Ausstellungsgäste sind somit Teil der Installation, denn ihre Bewegung löst den Klang hunderter zerbrechender Glaskugeln aus, der den akustischen Raum füllt.

Auch Prof. Brigitte Schulte-Fortkamp (TU Berlin) plädiert im Sinne der Psychoakustik für eine Raumwahrnehmung mit Augen und Ohren: In Räumen verknüpfen wir visuelle mit akustischer Wahrnehmung, wobei subjektive Hör-/Sehgewohnheiten einen großen Einfluss haben. Jeder Raum hat nicht nur eine spezifische visuelle Gestalt, sondern auch eine eigene Akustik. Und gemäß Leo Beranek, dem bekannten Spezialisten für Akustik, sind die Experten für eine gute Raumakustik diejenigen, die den Raum auch nutzen. Im Rahmen der hieran anknüpfenden Soundscape-Forschung spielen daher interdisziplinäre Teams eine wichtige Rolle hinsichtlich der Ansätze für die Neu-/Umgestaltung von Räumen.

So selbstständig wie wir uns in Räumen bewegen, so eigenständig ist unsere visuelle und akustische Wahrnehmung dieser. Was auf den einen kühl und steril wirkt, ist für die andere ein eleganter Ausdruck räumlichen Minimalismus. Eine Frage bleibt: Ist Raumwahrnehmung also eine emotional aufgeladene Form von Geschmack?

– Theresa

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