Roundup: Hybrid Encounters mit Tomás Saraceno & Gästen – Kunst, Biologie und Algorithmen

Bereits um kurz nach 19 Uhr verdunkelte sich die Beleuchtung im Konzertsaal der UdK und ein Lichtkegel wirft sich auf das mit Spinnweben überwucherte Metallgestell, was von Beginn an geheimnisvoll am linken Bühnenrand steht. Kurz darauf beginnt ein Saxofon im Halbdunkeln zu spielen und eine Videoprojektion des Konstrukts wird auf der Leinwand des Saals sichtbar. Darauf – kaum erkennbar – eine Spinne, die still in einer Ecke des Netzes sitzt.

Während die Saxofonmusik, aufgeführt durch den Musiker und Philosophen David Rothenberg, mit anhaltender Dauer immer mehr an Intensität gewinnt, bleibt die Spinne weitesgehend unbeweglich in ihrem Netz sitzen. Möglicherweise ließe sich ihr Verhalten durch das sommerliche Wetter entschuldigen, welches sie träge gemacht haben könnte. Link to Audio

Dazu ganz im Gegensatz das Publikum, auf das die meteorologische Fatique keineswegs übergegriffen zu haben scheint. Vielmehr signalisiert es ein ein großes Interesse an diesem Abend und den geladenen Gästen, was sich auch darin zeigte, dass während des Konzert noch immer zahlreiche Nachzügler in den Saal strömen und dieser mittlerweile bis weit in die hinteren Reihen gefüllt ist.

Nach dem Konzert folgt eine kurze Einleitung in den Abend durch Nina Horstmann von der Hybrid Plattform, gefolgt von einer ausführlichen Vorstellungsrunde der SprecherInnen durch Christina Landbrecht von der Schering Stiftung. Anschließend öffnet diese die Diskussionrunde und bittet die anwesenden Gäste kurz ihre Arbeit vorzustellen.

Tomás Saraceno nutzt die Gelegenheit zuerst, um nochmals auf die genaueren Hintergründe der »Arachnid Jam Session« (Spinnenkonzert) zu Beginn der Veranstaltung einzugehen. Er erklärt, dass die Spinnen ansonsten im Konzertsaal heimisch seien und vom ebenfalls anwesenden Arachnologen Roland Mühlethaler dort ausfindig gemacht wurden. Dann macht er deutlich, dass die Rolle der Spinnen keineswegs darauf beschränkt sei – man das vielleicht zuerst annehmen könnte – die Musik Rothenbergs nur zu konsumieren. Sondern, dass ihnen eine viel aktiver Rolle zugedacht wurde in der Gestalt, dass sie durch an ihrem Netz befestigte Mikrofone, welche ihre Bewegungen aufgezeichnen, akustisch mit Rothenberg in Interaktion hätte treten können, wären sie weniger scheuer oder weniger träge gewesen. An diesem sozialen Aspekt der Spinnen trägt auch Tomás Saracenos eigene Forschung Interesse: Diese beschäftigt sich unter anderem auch mit Methoden der Kartierung der fragilen Spinnennetze, über das sich – wie Saraceno erläutert – eben auch das Sozialleben manifestiert und organisiert.

Dr. Alex Jordan, als nächstes am Mikrofon, forscht am Max Planck Institut für Ornithologie an der Universität Konstanz an einem ähnlichen Themenkomplex, der das soziale Interaktionspotential verschiedener Tiere untersucht. Bei vielen Spezies zeigen sich hierbei sehr komplexe Verhalten, die schwierig aufzuzeichnen und zu untersuchen sind. Hier zeigen sich wiederum die Stärken der Spinnen als Forschungsobjekte – genauer ihrer Spinnennetze – insofern sich darin die soziale Verbindungen gewissermaßen materialisieren und somit im Raum sichtbar werden können.

Benjamin Wild, der den kurzfristig erkrankten Prof. Dr. Tim Landgraf vertritt und ein Mitarbeiter von jenem am Dahlem Center for Machine Learning and Robotics ist, für, setzt für seine Forschungen teilweise Robotern ein, die Tiere oder Tierverhalten imitieren, um darüber ein tieferes Verständnis von Gruppendynamiken von Schwarmspezies zu erlangen. Der fish robot beispielsweise soll klassisches Anführerverhalten simulieren und wird von den Forscher in einen Fischschwarm gesetzt, um ihn dann so zu manipulieren, dass sie damit die Bewegungen des Schwarms von Außen steuern können.

Ingo Rechenberg, Professor für Bionik an der TU Berlin, hat gleich einen eigenen Roboter mit auf die Bühne gebracht. Die Bewegungen des Tabbot orientieren sich an der Spinnenart Cebrennus rechenbergi, die nach Rechenberg selbst benannt ist. Diese Spinne kann sich sowohl laufend als auch rollend fortbewegen, was ihr in ihrem heimischen Gefilde – der Sandwüste Erg Chebbi im Norden der Sahara – einen Vorteil verschafft. Damit ist der Tabbot auch ein potentieller Kandidat für zukünftige Mission auf dem Mars, auf dessen sandigen Oberfläche der bisher eingesetzen Mars-Rover schon häufiger scheiterte.

Nachdem jeder der Sprecher in seine Arbeit eingeführt hat, sollen die Standpunkte zusammengeführt werden, die jeder bisher weitestgehend aus Sicht seiner jeweiligen Disziplin zu »spinnen« versuchte - oder um es mit einer Frage von Christina Landbrecht zu formulieren: “What is the jump from art to biology to artifical intellgence?”. Tomás Saraceno sieht in der Verbindung von Kunst und Technologie zuvorderst die Möglichkeit, die sensory superiority des Menschen mit  zu hinterfragen. So ließe sich beispielsweise mit einer virtual reality-Brillen das visuelle Erfahrungspektrum einer Spinne auf den Menschen übertragen (Stichwort: extended recognition). Daran knüpft sich auch der topos der animal intelligence an, der wiederum von Landbrecht ins Spiel gebracht wird, und über den bei den Sprechern geteilte Meinung herscht. So kann Saraceno dem Begriff zwar nicht viel abgewinnen, muss aber Positionen, die versuchen Tieren emphatisches Vermögen und vorausschauendes Handeln abzusprechen, noch entscheidener widersprechen. Als Vertreter dieser Position argumentiert Rechenberg, dass der Begriff Intelligenz für die Fähigkeiten von Tieren zu weitrechend sei, man stattdessen eher von Reflex und Verhalten sprechen müsse, und Intelligenz eigentlich dem Menschen vorbehalten sein müsse. Dagegen widerum positioniert Alex Jordan sich mit der Frage, ob man im Angesicht der vom Mensch gemachten globalen Klima- und Umweltkatastrophen tatsächlich noch von menschlicher Intelligenz sprechen könne oder ob es nicht vielmehr einer Neubestimmung des Begriffes  bedarf. 
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So umkreist die Diskussion und die einzelnen Redebeitrage noch eine ganze Weile die topoi der artificial intelligence, animal intelligence und extended recognition. Zum Abschluss fahren am Ende hintereinander nochmals David Rothenberg mit einem zweiten Spinnenkonzert auf und anschließend Rechenbergs Spinnenroboter Tabbot die Bühne ab - und präsentieren damit nochmals einen kleinen Ausschnitt der weitverzweigten Strukturen zukünftiger Verhältnisse von Technologie, Biologie und Kunst.

Alle, die das Event – eine Kollaboration der Hybrid Plattform und der Schering Stiftung – verpasst haben und deren Interesse mit diesem kurzen Roundup geweckt wurde, können sich die komplette Veranstaltung -einschließlich der beiden Konzerte von David Rothenberg und den Spinnen - hier nochmal anhören:
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-  Elias