Roundup: Hybrid Talk XXVIII »Blick & Perspektive«

Den Blick zu fangen – das ist nicht einfach. Die Werbebranche weiß hiervon sicherlich viel zu berichten – aber auch in der Wissenschaft sind die Versuche zahlreich, diesen primären Zugang zur Welt zu befragen. Den Blick zu fangen – dafür sind Strategien gefragt, denn die Reflexion hinkt stets einen Moment hinterher. Wie lässt sich die Aktualität sinnvoll befragen, wo doch das Fragen stets reaktionär der Aktualität des Blicks nachfolgt? Man muss versuchen, ihn zu umstellen, ihn in verschiedene Fallen zu locken, um so Strukturen zu offenbaren, die ansonsten verborgen bleiben.

Die 28. Hybrid Talks »Blick und Perspektive« versammelten einige dieser Strategien des Umstellens eines seltsam flüchtigen Objekts. Vier SprecherInnen eröffneten und erweiterten den Blick auf verschiedene Bereiche wissenschaftlicher und künstlerischer Aktivität. Sie stellten vier Dimensionen dessen dar, was unter dem Begriff der Sichtbarkeit verhandelbar wird.

Den Beginn macht Prof. Dr. Heike Rauer. Sie ist seit dem 1. November 2017 Leiterin des Institutes für Planetenforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. So führt sie uns bereits zu Beginn der Vorträge an die äußersten Grenzen des wahrnehmbaren Raums. Das Universum, so wie es Prof. Rauer vorstellt entpuppt sich, seitdem Technologien es erlauben, als ein unübersichtliches, komplexes Gebilde, dessen Ausdehnung jegliche Vorstellungskraft übersteigt. Dabei unterstreicht Heike Rauer mehrmals, dass derzeit die erste Generation Menschen in der Gewissheit von mehr als dem einen, eigenen Planetensystem aufwächst. Institute, wie das von Prof. Rauer, bearbeiten diese Dezentrierung des Slebstverständnisses und widmen sich der Suche nach bewohnbaren Planeten. Ebenso braucht es aber neue Vorschläge für eine den gewandelten Maßstäben angepasst Imagination. Zuletzt endet der Vortrag daher mit einem Apell an künstlerische Initiativen.

Eine detailreiche Lesung der Professorin für Bildene Kunst an der UdK Berlin, Prof. Susanne Lorenz, kann an diesen Appell anknüpfen. Sie führt die Zuhörer durch kunstgeschichtliche Schlaglichter des zwanzigsten Jahrhunderts: Maletwisch und die russischen Suprematisten, die Person Buckminster Fullers und dessen kreative Ingenieursarbeit für eine globale Welt oder auch das Künstlerpaar Anna und Bernhardt Blume. Sie stehen exemplarisch für eine neuartige Auseinandersetzung mit einer sich wandelnden Vorstellung vom eigenen Platz im Universum. Prof. Lorenz stellt daraufhin eigene Ansätze und Arbeiten vor, die auf aktuelle technische Innovationen reagieren. Strategisch produziert sie dabei Anachronismen, wie etwa der räumlichen Umsetzung von Möbiliar aus spätmittelalterlicher Malerei. Die dabei entstehenden, irritierenden Objekte stellen Angebote für die Reflexion eines sich wandelnden Blicks auf die Welt dar.

Ein ähnliches Vorhaben verfolgt Prof. Dr. Matthias Noell. Als Professor für Architekturtheorie an der UdK liegt sein besonderes Interesse auf gewandelten Konzepten von Architekturausstellungen. Dabei behandelt er Ausstellungen als historische Messungen im Umgang mit neuen Formen des Sehens und Konstruierens. Während seines Vortrags hebt er die Ausstellung des deutschen Werkbundes im Pariser Grand Palais im Jahr 1930 hervor. Sie versammelte Ausstellungsobjekte verschiedener Inneneinrichtungen, deren Design einer neuen Zeit und Gesellschaft gerecht werden sollten. Interessant dabei war der Zugang zu den Objekten: die ausgestellten Räume waren über ein, von Walter Gropius konstruiertes Stahlgerüst zu erschließen, das BesucherInnen die Möglichkeit eröffnete die Räume von oben zu betrachten. Matthias Noell bezeichnet diesen Blickwinkel als »neues Sehen«, das, so die These seiner Forschung, sich seit dem deutschen Werkbund für das architektonische Entwerfen zunehmend etabliert. Eine Änderung des Blickwinkels hat somit direkten Einfluss auf Techniken des Entwerfens, auf das Ordnen der bewohnten Welt und stellt so zunehmend ein Feld der Verhandlung politischer Fragen dar.

Dr. Elke B. Lange ist Forscherin am Max-Plack-Institut für empirische Ästhetik und schließt die Talks. Sie setzt der historisch-interessierten Perspektive auf Ästhetik zuletzt eine empirische Grundierung entgegen und schlägt damit, wenn auch in ganz anderem Maße, den Bogen zum ersten Vortrag. In ihrem Projekt versucht Dr. Lange die recht junge und in ihren Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpfte Technologie des Eye-Trackings auf ästhetische Fragen anzuwenden. Das subjektive Empfinden von Absorption beim Hören von Musik steht dabei im Vordergrund. Einen Zusammenhang stellt dabei das beobachtbare Verhalten der Augen beim Fokussieren dar. Die zuckenden Blickzielbewegungen, sogenannte Mikrosakkaden, die charakteristisch sind für visuelle Aufmerksamkeit, nimmt ab, wenn die auditive Absorption zunimmt. Empirisch lässt sich dies anhand von Probandenstudien belegen. Was pauschal gerne unter »Aufmerksamkeit« verhandelt wird offenbart sich somit in seiner Komplexität und macht zugleich die Eigenheiten des Blicks zu einem signifikanten Ort, der hierfür befragt werden kann.

Für die Frage, wo wir uns befinden - sei es kosmologisch, historisch, oder ganz individuell – scheint der Bezug auf den Blick eine unüberschätzbare Signifikanz zu haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um empirische Forschung handelt, die sich auf die Spur des Blicks begibt, um historische Schneisen, die seine Bewegung rekonstruieren, um künstlerische Versuche, ihn zu überlisten und neu einzubetten oder um riesige, technische Apparate, die sein Feld erweitern. Es steht latent stets der Raum zur Debatte, von dem der Blick ausgeht, verschiedene Perspektiven, von denen an diesem Abend sich einige versammeln konnten.

An dieser Stelle möchten wir uns bei allen RednerInnen und ZuhörerInnen bedanken. Außerdem bedauern wir den kurzfristigen Ausfall unserer fünften Rednerin, Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert sehr, deren Thema »Durch den Eisernen Vorhang geschaut. Ostberliner Architekten im Westen« wir jedoch in Form eines Textbeitrages auf unserer Website ergänzt haben.

- Benedikt