»Techno ist tot, zumindest offiziell. In Wirklichkeit waren elektronische Musik und die nächtliche Subkultur des Ausgehens [...] nie kreativer und interessanter als heute. Und nie so an einem Ort konzentriert: [...] am Berliner Spreeufer« schreibt Tobias Rapp, Musikjournalist und Autor des viel gelobten Buches »Lost and Sound«.
Fernab vom Berliner Spreeufer strömten am 06. Februar 2014 mehr als 150 musikinteressierte Gäste in die Alte Bibliothek der UdK in Berlin-Charlottenburg zu den zwölften Hybrid Talks: Diese wenden sich mit dem Thema »New Musical Instruments« jenem kreativen und interessanten elektronischen Puls der Zeit und der Zukunft zu, der das Berliner Herz im Techno-Takt schlagen lässt.
Stefan Weinzierl, Professor an der TU Berlin, ist Projektbeteiligter im Projekt 3DMIN. Das Projekt will einem steigenden künstlerischen Bedarf an neuen Instrumenten für die akustische Medienkunst und elektronische Musikszene begegnen. Denn viele der bisher entwickelten elektronischen Musikinstrumente seien zu experimentell, nicht für den langfristigen Einsatz gedacht und konnten sich bei Performern nicht etablieren. Weinzierl ist daher in seinen Forschungen den Geheimnissen von guten Musikinstrumenten auf der Spur. Ganz konkret untersucht er, welche Eigenschaften von Instrumenten ihre emotionale Expressivität sowie ihren Grad an Interaktionsmöglichkeiten besonders befördern. Die musikalische Interpretationsforschung bzw. die musikalische Wirkungsforschung bedient sich dazu insbesondere kognitionswissenschaftlichen und psychologischen Herangehensweisen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen dann gezielt in die Entwicklung von neuen Musikinstrumenten bzw. neuen Interfaces integriert werden.
Gerhard Behles von Ableton schickte das Publikum auf eine Reise durch die Musikgeschichte - vom Instrument bis zum Musikstudio, und erklärte wie das Musikstudio am Ende der Entwicklung wieder zum Instrument wird. Musikinstrumente setzen voraus, dass Instrumentalist und Hörer sich zur selben Zeit am selben Ort befinden. Seit Erfindung der Aufnahmetechnik ist Musik unabhängig von Ort und Zeit hörbar, die Fabrikation von Musik wird möglich. Zentrales Element dabei ist das Musikstudio, der Ort also, an dem Musik aufgenommen und dokumentiert wird. Mit der zunehmenden Technisierung wurde das Studio immer autarker bis es schließlich quasi selbst zum Instrument wurde, wie man am Beispiel des Synthesizers sehen kann. Die technikbasierte Musikproduktion entfernte sich jedoch von der herkömmlichen Haptik von klassischen Musikinstrumenten. Die Produkte von Ableton überwinden diese Trennung. Sie sind Musikinstrument und Musikstudio in einem: Ableton Live, eine Software für Musikproduktion und Ableton Push, ein digitales Musikinstrument, vereinen viele Errungenschaften traditioneller und moderner Instrumente: die Haptik von »analogen« Musikinstrumenten sowie die Möglichkeit, mit dem Instrument Musik auf einer Bühne zu inszenieren. Und vor allem eines haben sie gemeinsam: virtuos wird man nur durch Üben!
Alberto de Campo führte diese musiktechnischen Entwicklungen auf eine abstrakte Ebene und gab spannende Antworten auf grundlegende Fragen wie: Was sind Instrumente? Was sind Kompositionen? Welche instrumentellen Denkmodelle und Konzepte gibt es? De Campo zeichnete dazu die Genese von Musikinstrumenten vom 19. bis zum 20. Jahrhundert in einem Schnelldurchlauf nach. Dabei stellte er die wesentlichen Parameter von Instrumenten heraus, die ihren Wirklichkeitsraum bestimmen. Diese sind beispielsweise der Grad der Zufälligkeit bzw. der Kontrolle der Klangerzeugung, das Maß an menschlicher Feinmotorik, die es bedarf, um das Instrument zu spielen vs. technischer Unterstützung oder die Möglichkeit zur Improvisation, die das Instrument bietet. Ebenso spielt die Zahl der Performer eine Rolle, die das Instrument zulässt. Sie bedingt, wie viel Einflussnahme auf die musikalische Klangerzeugung möglich ist. Der Spielraum einer möglichen Realität von Musikinstrumenten, liegt etwa zwischen den Polen Komposition und Interpretation, Kontrolle und Zufall. Darin bewegt sich Alberto de Campos Forschungsinteresse im Projekt 3DMIN, das für ihn in Bezug auf die Entwicklung von neuen Musikinstrumenten unter dem Slogan »Loose control, gain influence« zu fassen ist.
Till Bovermann, Amelie Hinrichsen und Dominik Hildebrand Marques Lopes, ebenfalls vom Projekt 3DMIN führten ein neues Format ein: die Kurz-Diskussion. Sie erwogen spannende Fragen über essentielle Gegenpole in der neuen Musik: Abstraktion versus Pragmatismus, Unbefangenheit versus Expertentum, U- versus E-Musik? Im wissenschaftlichen »Bühnengespräch« über diese kontroversen Punkte wurde schnell klar: Auch hier gibt es nicht nur einen Weg zum musikalischen Erfolg und zum neuen Musikinstrument.
Abschließend gewährten uns Christian Dietz und Florian Goltz vom TU-UdK Start-Up Coire Einblicke in ihre neueste Arbeit zur musikalischen Interaktion: Projektziel ist es, durch die Auflösung des »Master-Slave-Prinzips«, bei dem ein Gerät quasi den Takt vorgibt, die Kommunikation und Vernetzung verschiedener elektronsicher Geräte zu erzielen und somit ein »digitales Orchester« zu kreieren.
Spätestens am Ende des Abends war klar: Techno ist nicht tot, zumindest inoffiziell – auf dem Campus Charlottenburg.
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