Von Ästhetik bis Zoologie – Musikwissenschaft im Gespräch

Newtons Vollspektrum (außen) &  Richtungshörer des Deutschen Heeres zur Artillerieortung im Ersten Weltkrieg

Newtons Vollspektrum (außen) & Richtungshörer des Deutschen Heeres zur Artillerieortung im Ersten Weltkrieg

Rückblick und Ausblick zweier Teilnehmerinnen zum LIVE-Talk »Musik/Natur/Wissenschaft/Geschichte«

Realität oder  schön geformte Wirklichkeit - werden Wissenschaften wie die der Physik bei ihren Forschungen tatsächlich nach ästhetisch reizvollen Zielen ausgerichtet und ist dadurch unsere ganze Wirklichkeit beeinflusst? Wann erlangten das Hören und auditive Wahrnehmungen neben den schon immer hoch geachteten Sehtechniken, mehr Aufmerksamkeit in der Geschichte der Wissenschaft? Und wie kam es zu einer Fusion elektrischer und akustischer Technologien, welche ein neues, die Musik prägendes elektroakustisches Zeitalter nach sich zogen?

All diesen und noch anderen Fragen begegneten wir die letzten zwei Monate jeden Montag um 19:15 Uhr im Live-Talk »Musik/Natur/Wissenschaft/Geschichte«. In dieser Veranstaltungsreihe, die im Fachbereich Musikwissenschaft der UdK angeboten wird, wird jede Woche ein*e Expert*in zu einem Thema aus den Bereichen der Musik- und Naturwissenschaften in unser online Webex-Meeting eingeladen. Nach einer kurzen Vorstellung des Gastes von einem*r Studierenden, folgt ein circa einstündiger Vortrag. Anschließend können Fragen gestellt werden und für besonders interessierte Zuhörer*innen bleibt der Webex-Raum auch nach Ende der Vorlesung um 20:45 Uhr zum Diskutieren und Fragen stellen geöffnet.

Im Fokus dieser Veranstaltungsreihe steht die Verbindung von Musik mit naturwissenschaftlichen Phänomenen. In den Vorträgen werden verschiedenste Zusammenhänge aufgezeigt und es wird deutlich gemacht, welchen wechselseitigen Einfluss ebendiese Bereiche aufeinander haben und wie eng sie oft miteinander verwoben sind.

Eine solche Verflechtung der Wissenschaftsbereiche wurde beispielsweise in dem Vortrag »Symmetrien als ästhetisches Ziel physikalischer Forschung – mit Parallelen aus der Musik« von dem Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Olaf Müller deutlich. Darin zeigte Müller auf, wie das Streben nach Schönheit und Ästhetik die Wahrheit bzw. Realität beeinflussen kann. Laut Müller spielt die Suche beispielsweise nach Symmetrien, welche einen hohen ästhetischen Reiz besitzen, eine nicht zu vernachlässigende Rolle in der Physik. Experimente würden oft solange durchgeführt und erst dann veröffentlicht, wenn eine Symmetrie erreicht und der menschliche Schönheitssinn befriedigt ist. Dadurch ergibt sich eine wichtige Frage: Wie sehr wird die Wahrheit und damit die Realität durch dieses Bedürfnis beeinflusst? Deutlich machte Müller diese Erkenntnisse und Zusammenhänge anhand eines Beispiels aus der Physik – das Newton-Spektrum – und einem aus der Musik, dem Krebs-Kanon von J. S. Bach. Beide Beispiele hätten einen sehr hohen ästhetischen Reiz, wodurch sie hohe Anerkennung und viel Aufmerksamkeit auf sich zögen.
Müllers Vortrag verwies also auf eine Wechselwirkung vom natürlichen menschlichen Schönheitssinn mit der Wissenschaft.

Auch in den anderen Vorträgen wurden tiefergehende Zusammenhänge von Musik und Naturwissenschaft deutlich. So erläuterte Julia Kursell Helmholtz Theorie über die Tonempfindungen des Menschen als Grundlage für Theorien in der Musik. Roland Wittje zeigte in seinem Vortrag, wie sehr elektroanaloge Technologien im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert die Akustik neu ordneten, dadurch enormen Einfluss auf die Musik nahmen und ein elektroakustisches Zeitalter entstehen ließen. In dem Vortrag von Mitchell Ash wurde die Entstehung der modernen Wissenschaft im 19. Jahrhundert genauer unter die Lupe genommen und verdeutlicht, welchen Einfluss die Institutionalisierung und Öffentlichkeitsarbeit auf die moderne Wissenschaft hatten. Schließlich erfuhren wir im letzten Vortrag vor dem Jahreswechsel von Axel Volmar, wie das Hören und auditive Wahrnehmungen seit der Aufklärung immer mehr Bedeutung fanden und vermehrt in der Wissenschaft eingesetzt wurden.

Viele Querverbindungen, Verknüpfungen und Zusammenhänge der Musik- und Naturwissenschaften sind in den letzten Wochen schon deutlich geworden, dabei ist die Veranstaltungsreihe erst knapp bei der Hälfte angelangt – sieben weitere Termine mit spannenden Vorträgen warten noch auf uns! Und die Themen sind vielfältig: naturwissenschaftliche Fragestellungen wie die kulturelle Weitergabe bei Tieren und Menschen stehen auf dem Programm, aber auch von Fledermäusen und Schmetterlingen wird die Rede sein. Außerdem werden wir erfahren was hinter der historischen Kontextualisierung der Digitalität, den Methoden zur Analyse von elektronischer Musik und »unravelling the capacity for music« steckt!

– Julia Pechstein & Mona Dannenberger