Subjectivity and Synchrony in Artistic Research - Ethnographic Insights

Forschung mit künstlerischen Methoden (artistic reseach) hat sich in den letzten Jahren zu einer bedeutenden Disziplin innerhalb zeitgenössischen Wissenschaftstheorien entwickelt, die künstlerische Verfahrensweisen hinsichtlich ihrer Erkenntnisproduktion untersucht.

Johanna Schindler,  Kulturwissenschaftlerin und Projektkoordinatorin am Haus der Kulturen der Welt im Forschungsprojekt Technosphere, analysiert in ihrem 2018 bei transcript erschienenen Buch „Subjectivity and Synchrony in Artistic Research“ zwei künstlerische Forschungsprojekte im Hinblick auf die entstehenden Forschungsdynamiken und kollaborativen Praktiken: Wie werden individuelle Forschungsmodi organisiert? Welche Wissensformen spielen hier eine Rolle? Welchen Einfluss haben institutionelle Zusammenhänge, räumliche Ordnungen und Grenzobjekte auf die entstehenden Forschungsdynamiken? Und welche Kriterien zur Evaluation künstlerischer Forschungsprojekte lassen sich ausmachen? Zahlreiche Publikationen geben detaillierte Einblicke in Methoden und Praktiken künstlerischer Forschung. Diese Analysen sind jedoch selten theoretisch fundiert oder münden in eine feldspezifische Theorie. Johanna Schindler legt mit ihrem Buch eine der ersten ethnographischen Langzeitstudien über das Feld vor, um die oben genannten Fragen zu untersuchen.

Während eines Jahres hat sie zwei künstlerische Forschungsprojekte je dreimal drei Wochen lang begleitet. Die Projekte waren in Berlin und Basel angesiedelt. In verschiedenen Projektphasen hat sie teilnehmende Beobachtung und qualitative Interviews durchgeführt, detaillierte Feldnotizen angefertigt und Arbeitsräume fotografiert. Die so gesammelten Daten und Materialien wurden in zwei detaillierte Fallbeschreibungen zusammengeführt. Ein theoretischer Dreischritt – die Kombination aus „boundary objects“ (Star & Griesemer, 1989), Affordanz (Gibson, 1986) und Affekttheorie (Seyfert, 2012) – ermöglichte zudem eine multidimensionale Analyse der jeweiligen Forschungssettings: Dies beinhaltete sowohl zum Beispiel Büro- und Werkstatträume, institutionelle Zusammenhänge, Objekte, Materialien und Atmosphären, als auch die subjektiven Stimmungen der Forscherinnen, ihre individuellen Fähigkeiten, disziplinären Hintergründe, Interessen, Verhaltensweisen, Zeitmanagement und Forschungspraktiken. Entlang der Konzepte „attunement“ und „synchrony“ (Gestimmtheit und Synchronie; Koole & Tschacher, 2016; Wheatley, Kang, Parkinson, & Looser, 2012) untersuchte sie schließlich, wie die Forscherinnen die unterschiedlichen Forschungslogiken in ihre kollaborativen Forschungszusammenhänge integrierten.

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die gegenwärtig zur Evaluation von künstlerischer Forschung verwendeten Kriterien (Forschungsergebnisse und Publikationen) überarbeitet werden müssen. Anstelle sich auf quantitative Indikatoren wie die Zahl der Veröffentlichungen, Konferenzbeiträge oder betreuten Doktorandinnen zu fokussieren, geben qualitative Kriterien wie Gestimmtheit und Synchronie laut Johanna Schindler stichhaltigere Auskunft darüber, ob die Forscherinnen eine synchrone Forschungsdynamik entwickeln konnten. Mit diesem Begriff deutet sie darauf hin, dass transdisziplinäre Forschungszusammenhänge allgemein – und künstlerische Forschungszusammenhänge im Speziellen – eine permanente Aushandlung subjektiver ästhetischer, materieller oder organisationaler Präferenzen, individueller Arbeitsmodi, disziplinärer Hintergründe, Methoden, Fähigkeiten und Forschungslogiken erfordern. Diese Unterschiede können die Entwicklung und das Vorankommen gemeinsamer Forschungsvorhaben sowohl befördern, als auch verhindern. Folgende Schlussfolgerung zieht sie daher aus ihrer Untersuchung: Anstelle die Unterschiede zwischen disziplinären Herangehensweisen auszugleichen und in einen homogenisierten Rhythmus zu überführen, sollten vielmehr die individuellen Hintergründe, Interessen, Fähigkeiten und Präferenzen jeder einzelnen am Projekt beteiligten Forscherin produktiv in eine synchrone Forschungsdynamik integriert werden. Auf diese Weise kann eine transdisziplinäre Vorgehensweise eingelöst und sowohl gemeinsame als auch individuelle Forschungsfragen bearbeitet werden. Vor diesem Hintergrund schlägt sie im Schlusskapitel konkrete Maßnahmen vor, um Forschungsumgebungen, Förderstrukturen und Evaluationskriterien zu entwickeln, die auf die spezifischen Gegebenheiten und Bedürfnisse künstlerischer Forschung reagieren.

„Subjectivity and Synchrony in Artistic Research- Ethnographic Insights“ ist bereits erschienen und kann bei transcript bestellt werden.