RAD AB, SCHRAUBE LOCKER - 19 Werkzeuge zur Demontage von Technik und Gesellschaft

Der Dieselskandal, der Rückgang von Artenvielfalt, der Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung, die steigenden Mietpreise und das Fußballspiel im Fernseher - das sind ganz konkrete Einzelfälle. Sie sind unterschiedlich und doch lassen sich tiefer liegende Strukturen herausarbeiten.

Die Ausstellung Rad ab, Schraube locker bietet einen Werkzeugkasten zur Demontage von Technik und Gesellschaft. Die 19 verschiedenen Werkzeuge werden in der Ausstellung vorgestellt, von der “Leiter des Höher-Schneller-Weiter” über den “Bart des Patriarchats” bis zur “Zwangsjacke der Natur”. Mit Hilfe der Werkzeuge werden die Gemeinsamkeiten von Automobilität, industrieller Landwirtschaft, Automatisierung/Digitalisierung, Fußball und Stadtentwicklung in der Ausstellung offengelegt. Dabei sind die 19 Werkzeuge nicht auf diese Themen beschränkt: die Besucher_innen werden ermutigt sie mit nach Hause zu nehmen, um dort ihr Privat- und Berufsleben zu demontieren, das heißt zu analysieren und zu reflektieren.

Die Ausstellung wurde von “Blue Engineering - Ingenieur_innen mit sozialer und ökologischer Verantwortung” konzipiert und mit dem Studierendenprojekt des IG Metall Bezirks Berlin - Brandenburg - Sachsen umgesetzt. Die Ausstellung wird gefördert durch den Nachhaltigkeitswettbewerb der Technischen Universität Berlin.

Ausstellung:
06. Dez - 11. Jan 2019, IG Metall Haus, Alte Jakobstraße 149, 10969 Berlin

Leiter des Höher-Schneller-Weiter

Mit der Leiter des Höher-Schneller-Weiter kommt man nicht in den Himmel und auch nirgendwo anders hin, denn ihr Ziel ist einzig nur noch höher, noch schneller und immer noch weiter zu steigen.

Eine Leiter ohne Ende erstreckt sich in die Unendlichkeit. Ihre beiden Enden treffen sich also irgendwann und formen ein riesiges Hamsterrad. Wer immer noch höher strebt, immer noch schneller das nächste Ziel erreichen möchte und nur noch weiter will, der kommt nie an.

Mobilität

Ein Motor pro Auto ist schon lange nicht mehr ausreichend, sondern immer mehr Elektro-Motoren sind nötig damit die Fenster, der Kofferraum und sogar die Türen sich auf Knopfdruck öffnen und schließen. Mit jedem zusätzlichen Motor steigt scheinbar die Freude am Fahren, vor allem dann wenn über 1.000 PS auf die Straße gebracht werden. Es ist also vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass die einfache Pendelstrecke in Deutschland innerhalb von 15 Jahren um 21 % gestiegen ist, sprich von 8,7 km auf 10,5 km. Die Ingenieur_innen dieser Leiter des Höher-Schneller-Weiter pendeln von allen am weitesten: Im Median sogar 18,5 km - doch sie fahren wohl kaum über leere Straßen, sondern zusammen mit allen anderen stehen sie im Stau.

Landwirtschaft

Die letzten 100 Jahre technische und biochemische Entwicklung haben die Landwirtschaft in Europa fundamental verändert und mit jedem Jahr wurde eine weitere Sprosse der Leiter des Höher-Schneller-Weiter erklommen. Immer weniger Menschen produzieren mit modernem Saatgut, stets ausreichendem Düngemittel, Unmengen hochwirksamer Pestizide und mit steigendem Maschineneinsatz immer mehr Nahrungsmittel. Doch Maschinen erfordern Investitionen, große Maschinen sind effizienter, ernten mehr, fahren schneller und erfordern noch höhere Investitionen, die sich nur bei guter Auslastung rentieren. So hat sich beispielsweise die durchschnittliche Größe von Landwirtschaftsbetrieben in Deutschland von 30 Hektar im Jahr 1991 auf 62 Hektar im Jahr 2017 verdoppelt.

Gesellschaftlicher König Midas der Verwüstung

Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann. - Weissagung der Cree

Es ist längst nicht mehr nur ein einzelner Mensch - König Midas - dessen Habgier alles zu Gold verwandelt, was er berührt. Stattdessen ist unser gesellschaftliches Naturverhältnis und damit das Verhältnis nahezu aller Individuen zur Natur längst so ausgestaltet, dass auch der letzte Winkel der Natur ein Preisschild angeheftet bekommt, wenn er nicht komplett verwüstet wird.

Fußball

“Fußball ist unser Leben - denn König Fußball regiert die Welt. - Wir kämpfen und geben alles - bis dann ein Tor nach dem andern fällt.” - 1974 war es nur ein Lied, das aber immer mehr zur Realität wird. Passives Fußball schauen wird als absolutistischer König Midas der Verwüstung installiert: An sieben Tagen in der Woche flackert es auf den Bildschirmen, während immer weniger Menschen selber Fußball spielen oder ihre kleinen Dorfvereine unterstützen. Zugleich werden die anderen Sportarten an den Rand gedrängt, wie auch jegliche andere gesellschaftliche Tätigkeit. So muss zum Beispiel ein gut angenommenes, gepflegtes und mehrfach ausgezeichnetes Urban Gardening Projekt in Berlin-Wedding einer weiteren Fußballakademie für Nachwuchstalente weichen.

Teuchnikskreis der Technik

Technik muss nicht teuflisch sein, um einen Teufelskreis anzutreiben.

Die Probleme der aktuellen Technik werden mit neuer Technik gelöst, die wiederum neue Probleme verursacht, die dann noch neuerer Technik bedarf um die Probleme der neuen Technik zu lösen. Dies ist aber nur möglich, wenn auch noch neue Probleme in Kauf genommen werden, die dann einer noch viel neueren Technik bedürfen…

Stadtentwicklung

Die verdichtete Großstadt, wie wir sie heute kennen, gibt es seit 150 Jahren. Geprägt von Stein, Beton und Glas, die Straßen asphaltiert, wird sie im Sommer zur Herdplatte. Lüften gelingt kaum, denn die wenigsten Räume haben Fenster in zwei Richtungen und oft lassen sich Fenster gar nicht erst öffnen. Wie gut, dass es Klimaanlagen gibt! Fröhlich brummend schaufeln sie die Wärme von drinnen nach draußen, der Strom den sie brauchen, wird auch noch zu Wärme und so wärmt sich die städtische Herdplatte immer weiter auf. Immer wenn alle ihre Klimaanlage eine Stufe höher stellen, hat der Teuchnikskreis der Technik wieder eine Runde gedreht.

Das Booklet zur Ausstellung als Download