Produktive Verwirrung

Der Pecha Kucha Campus #2 während der Langen Nacht der Wissenschaften am 24. Juni 2017 war ein voller Erfolg. Wie dieses Format die Zuschauer auf die Reise des interdisziplinären Arbeitens mitgenommen hat, das fasst Benedikt in der heutigen Weeknote zusammen.

Ein Stimmengewirr möchte das Pecha Kucha Format inszenieren – soviel ist jedenfalls der japanischen Lautmalerei, der dieser Begriff entspringt, zu entnehmen. Verwunderlich, dass gerade für dieses Vorhaben ein derart strenges Korsett geschnürt wird. 20 Bilder à 20 Sekunden bilden den Rahmen jedes einzelnen Beitrages. Keine Pause, kein Zurückspringen zur vorigen Folie, keine Nachfragen. Eine besondere Art von Gewirr soll hier erzeugt werden. Mit Konzentration der Inhalte und sanftem Zwang zur sparsamen Form soll Verwirrung produktiv gemacht werden. Gelingt das? Innerhalb des Programms der diesjährigen Langen Nacht der Wissenschaften in der Volkswagenbibliothek stellen wir das Format auf die Probe.

Etwa 150 weiße Stühle versammeln sich vor Bühne und Leinwand im Foyer der Volkswagenbibliothek. Blaues Licht und weiße Tücher rahmen den Raum von oben ein. 17 Sprecher stärken sich im Empfangsraum mit Brezeln und Kaffee. Ein letzter Technik Check, noch einmal durchzählen, Punkt 19 Uhr geht es los. Ebenso reduziert wie die Form der Vorträge, muss auch die Planung dieses Abends sich beschränken, um nicht den Rahmen des Programms der Langen Nacht der Wissenschaften zu sprengen. Einleitende Worte von Aldo Stephan, dem Moderator des Abends führen auf kürzestem Weg zum ersten Beitrag dieser zweiten Ausgabe des Pecha Kucha Campus Formates.

In nahtlosem Anschluss jagen sich nun Beiträge studentischer Projektwerkstätten, StartUp Initiativen, Theater- und Kunstprojekte, sowie wissenschaftliche Studien. Die »Grüne Leber« von Prof. Dr. Stephan Pflugmacher Lima, ein Unternehmen zu Gewässerreinigung mit internationalem Anschluss folgt auf das lokale Kunstprojekt Juan Alfonso Angulos »Bilder Neuer Geschichten«, der zusammen mit Kindern große Wandbilder auf öffentlichen Flächen erschafft. Auf Marcel Weimar und Lion Langmaaks kritische Betrachtung westlicher Immobilienwirtschaft mit ihrem Hang zur vereinheitlichenden Sterilisierung der Kommunen folgt Agnes Kelms Vorstellung des »Love School Projects«, einem spielerisch-pädagogischen Angebot für Kinder des Kangemi Slums in Nairobi.

Verwirrend, wie solche thematischen Sprünge auch scheinen mögen, überfordernd, wie die Bild -und Informationsflut auch zunächst wirkt, so durchzieht doch eine gewisse Kohärenz die 17 Beiträge und organisiert das Chaos. Wem es gelingt, durch die gleichbleibende Struktur der 20 Bilder hindurch die Geschichte einer Entwicklung zu erzählen, der fesselt das Publikum mit seinem Anliegen. So kann Lucia Forcioli-Conti ihre Zuhörer ein Stück weit auf den Weg der Organisation und Durchführung von Deutschkursen für Geflüchtete mitnehmen, genauso wie Aldo Stephan das Publikum an der gelösten Atmosphäre seiner Earthship-Werkstatt zur Errichtung autarker Baustrukturen teilhaben lässt. Dr. Friederike Assandri versteht es, für die Geschichte und die einsame Schönheit eines alten Tempels in einem Abrissgebiet zu begeistern und Marco Donnarumma präsentiert ein Narrativ das die koloniale Geschichte westlicher Konstruktion von Andersheit mit modernen Othering-Prozessen der digitalisierten Gesellschaft verbinden, die sich in neuronalen Netzwerken niederschlagen.

Solche Erzählungen offenbaren eine gemeinsame Charakteristik gelungener Projekte: Das Versammeln verschiedener Akteure hinter einem gemeinsamen Anliegen hat eine Geschichte, die es sich lohnt, zu erzählen. Das Stimmengewirr von Pecha Kucha macht den produktiven Zusammenhang von wirrer Bastelei und zeitlicher Beschränkung unmittelbar erfahrbar und ermuntert dazu, bei Projekten die interdisziplinäre Verwirrung nicht zu scheuen.

– Benedikt