LO_RES – Ein Semester in Minecraft

Als sich immer deutlicher abzeichnete, dass das Sommersemester 2020 unter gänzlich anderen Vorzeichen als bisherige Semester stattfinden würde, begannen wir am Fachgebiet für Digitales und experimentelles Entwerfen über Formate und Umgebungen nachzudenken, die einer Architekturlehre gerecht werden können, die momentan weitgehend auf Präsenzunterricht verzichten muss.

Computerspiele und deren Entwicklungsumgebungen weisen unter diesen Umständen im doppelten Sinne interessante Parallelen zur Architektur auf. Konzeptuell betrachtet ermächtigen sie uns, genau wie ein Architekturentwurf in der physischen Welt, unsere virtuelle Umwelt zu strukturieren und damit die räumliche Grundvoraussetzung für unser Wahrnehmen und Erleben zu schaffen. Der Philosoph Gernot Böhme sagt dazu treffend: »Der leibliche Raum ist weder der Ort, den ein Mensch durch seinen Körper einnimmt, noch das Volumen, das diesen Körper ausmacht. Der leibliche Raum ist für den Menschen die Sphäre seiner sinnlichen Präsenz.« (Böhme, 2006, 88)

In unserem konkreten Fall erwuchs daraus die Idee unser Studio für das digitale Semester in einem Computerspiel zu verorten und damit einen Raum für Begegnung und Experiment zu schaffen. Gleichzeitig befassten wir uns auch, unterstützt durch ein Theorieseminar von Prof. Dr. Nathalie Bredella, thematisch mit dem Zusammenhang von physischem und digitalem Raum. Minecraft haben wir als Entwicklungsumgebung gewählt, da es eine starke soziale Komponente hat und parallel die Möglichkeit bietet, die Welt aus dem Spiel heraus auf einfache Weise konstruktiv zu verändern.

Minecraft ist ein sogenanntes Open World Spiel. Dieser Spieletypus zeichnet sich durch das Fehlen eines linearen Handlungsstrangs aus. Vielmehr teilen alle Spieler eine gemeinsame Welt, die sie erkunden und räumlich, narrativ und strukturell verändern. Dies geschieht in Minecraft insbesondere durch das denkbar einfache Prinzip des Hinzufügens, Austauschens oder Wegnehmens von immer gleich großen Blöcken. Alles ist Block oder besteht aus Blöcken und ist somit veränderbar - von der Landschaft bis zum Schallplattenspieler.

Konstruktives gemeinsames Spiel bedeutet viele Absprachen, diese soziale Komponente ist ein zweiter spannender Aspekt von Minecraft. Die Kommunikation findet über das direkte Gespräch, den Spielchat, Teamspeak, oder schlicht durch die Bewegung des eigenen Avatars im Spiel selbst statt. Außerdem gibt es um Minecraft herum eine aktive Nutzergemeinde, die das Spiel über sogenannte Modifikationen (Mods) kontinuierlich erweitert. Der Medienwissenschaftler Klaus Gasteier fasst es folgendermaßen zusammen: »Minecraft erschließt sich erst als Phänomen, wenn man es kollaborativ  spielt.  Und  das  zu  entdecken  ist  gar  nicht  so  einfach,  obwohl erst  da  der  Erfolgsschlüssel  sichtbar  wird:  Minecraft  ist soziales LEGO. Minecraft kann auch narratives LEGO sein.« (GWK 001 2017, 188)

In der praktischen Umsetzung wurde ein Minecraft Server aufgesetzt, der jederzeit für alle Kursteilnehmer erreichen war und somit als gemeinsames Studio diente. In dieser virtuellen Welt hat im ersten Teil des Semesters sowohl die Kommunikation als auch die Bearbeitung des Entwurfes stattgefunden. Die Studierenden gestalteten zunächst ihre eigenen Avatare inklusive eines gewählten Narrativ und einer konstruktiven Struktur. Nachdem die grundsätzlichen Funktionen und Möglichkeiten des Spiels verstanden waren, haben wir über Ansätze des gemeinsamen Agierens und Bauens im virtuellen Raum nachgedacht.

Computerspiele bieten für ArchitektInnen und KünstlerInnen aber auch für den Benutzer vielfältige Möglichkeiten der Inszenierung von Situationen, die im physischen Raum undenkbar wären. Inspiriert von der Sozialutopie »Ville Spatiale« aus dem Städtebau der 60er Jahre von Yona Friedman haben wir über anpassungsfähige Infrastrukturen und der Partizipation der Nutzer am virtuellen Raum nachgedacht.

Im Hauptteil des Entwurfes war es den Studierenden freigestellt welche Rolle das Spiel Minecraft spielen würde. Andere Entwurfsumgebungen wurden kennengelernt, und Verbindungen vom digtialen zum physischen Raum untersucht. Die Bandbreite der entstandenen Arbeiten reichte von nachgestellten Realitäten, in denen ein politischer Diskursraum ein Forum für freie Rede bietet bis hin zu Projekten die den Bezug zur realen Welt und zu ihren Gesetzmäßigkeiten ganz hinter sich lassen. Wir möchten hier zwei Arbeiten die entstanden sind exemplarisch anreissen:

Das Projekt »WORMHOLE3000« von Senta Hoppe (TU Berlin) und Luise von Zimmermann (UdK Berlin) untersucht die Verbindungen zwischen dem Analogen und dem Digitalen. Die Spielerin oder der Spieler folgen einem Schritt-für-Schritt Handbuch, das sie durch den Prozess der Transformation von Objekten führt, entweder über analoge oder digitale Werkzeuge. Die Auswahl der Objekte und die Richtung ihrer Transformation basieren auf einer Reihe von immer neu generierten Handlungsanweisungen.

Das Projekt »Fragments of Spaces« von Patrick Hemmerden (UdK Berlin) ist eine begehbare/ erfahrbare räumliche Collage aus verschiedenen analogen Erinnerungsräumen. Diese wurden mithilfe von CAD-Software digital übersetzt, verfremdet und neu zueinander angeordnet bzw. collagiert. Eine Softwareumgebung (Game Engine), die normalerweise für die Spieleentwicklung genutzt wird, macht diese neu entstandene räumliche Struktur begehbar und interaktiv.

Fazit

Minecraft stellte für uns einen spielerischen Einstieg in unterschiedliche technische Themenbereiche wie 3D-Konstruktion, Programmierung, Animation und Spieleengines dar. Während die Narration und interaktive Kommunikation in diesen Spieleumgebungen eine starke räumliche Komponente bekommen, wird vieles was in der Architektur wichtig ist, unter den Gesetzen des Level-Design in Frage gestellt. Der Kontext der Universität der Künste stellt in seiner Vielfalt von künstlerischen Disziplinen von Architektur zur Dramaturgie bis zum Kommunikationsdesign ein spannendes Umfeld für eine solche Untersuchung in der momentanen in vielen Hinsichten besonderen Laborsituation dar.

#subjektive Erfahrung und #Objektivierung
Durch ihre Bearbeitung werden die Objekte mit dem Konzept durchdrungen geliefert durch diese Handlungsanweisungen sowie die subjektive Vorstellung des Spielers. Innerhalb des Spiels nutzen wir diese Grade von Freiheit und laden die Akteure zur Kommunikation über die Schaffung und Veränderung von Objekte.

#Geschichtenerzählen
Die Objekte und ihre transformierten Variationen werden, zur Kommunikation verwendet, Werkzeuge. Sie können Geschichten über verschiedene Sinne erzählen. Dabei unterscheiden sie sich auch abhängig von ihrer Verwendung in analoge oder digitale Werkzeuge.
Wir machen uns dabei die Macht eines Objekts so zunutze, dass eine Geschichte erzählt wird, obgleich gesprochene Worte nicht direkt mehrere Sinne ansprechen können.
Dies führt im Idealfall zu einer Überwindung von Kommunikationsbarrieren, z.B. Sprache, kultureller Hintergrund etc.

#Datentransformation und #Materialität
Zusätzlich werden die Objekte transformiert, indem sie mit analogen oder digitalen Werkzeuge bearbeitet werden. Diese Transformation führt zu einer weiteren Schicht von(Re-)Interpretation, z.B. durch Herumspielen mit #Skala und #Auflösung. Um dies zu beschreiben, verwenden wir die Metapher eines astrophysikalischen Wurmlochs und seiner theoretischen Transformation von Objekten oder Licht: Ein Wurmloch verbindet zwei entfernte Punkte im Universum und Objekte, die durch das Universum reisen können, die die andere Seite erreichen können, dabei werden sie aber auseinander gebrochen in ihre Atome, rekonfiguriert oder sogar vollständig zerstört - in jedem Fall werden sie verändert ankommen.
Dies gilt auch für das Hin- und Herschicken von Objekten zwischen analogen und digitalen Räume: Ihre Reise erfordert eine Umwandlung in übertragbare Datenformate, wodurch dem Bearbeitungsprozess neue Dimensionen hinzugefügt werden.

#Ensemble
Das Verfahren der Transformation beschränkt sich nicht nur auf die Veränderungen durch technische Gegebenheiten wie Unterschiede in Maßstab, Format und Material. Entscheidend ist der Einfluss der verschiedenen Menschen, nämlich die subjektive Interaktionen mit diesen Technologien und damit die daraus resultierenden durchgehende Erzählung. Die bearbeiteten Objekte werden dadurch zu Assemblagen in einem sozio-technischen Sinn: Mit jeder Schleife des Spiels werden sie weiter durchdrungen von sowohl persönlichen Konzepten als auch Geschichten und tragen die Kennzeichnungen von »standortspezifischen« (analogen oder digitalen) Werkzeugen und deren technischen Spezifikationen

Fachgebiet Digitales und Experimentelles Entwerfen:  Prof. Sven Pfeiffer, WM Christian Schmidts
TutorInnen: Thomas Bohne, Vanessa Stark, Luise von Zimmermann
Studierende: Nils-Thore Grundke, Jonas Illigmann, Florian Jaritz, Elias Eichhorn, Stefan Schaaf, Senta Hoppe, Luise Zimmermann, Julia Trinkle, Patrick Hemmerden, Özcan Ertek