»Fummel da jetzt nicht rum!« Interventionen und Eisbrecher in anonymen Nachbarschaften

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Say hello to Mimosa! © Stephanie Neumann

Stephanie Neumann, absolvierte eine Ausbildung zur Fotografin; studierte digitale Medien und arbeitete als Konzepterin für Agenturen in Berlin, Frankfurt/Main und New York. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der FH Brandenburg und erlangte an der FH Potsdam ihren Mastertitel mit der Arbeit »Fummel da jetzt nicht rum!« von der sie in dieser Weeknote berichtet. Sie war in das hybride Forschungsprojekt Rethinking Prototyping involviert und arbeitet heute am Urban Complexity Lab an der FH Potsdam.

In einem Hochhaus mit 136 Wohneinheiten leben vergleichsweise so viele Nachbarn wie in einem Dorf. Das Zusammenleben ist jedoch meist anonym und von einem Zurückziehen in das Private gekennzeichnet. Auf dem Grat zwischen Anonymität und Verbindlichkeit geht es in der Arbeit insbesondere darum, das Knüpfen der, für die Lebensqualität wichtigen, so genannten schwachen Bindungen zu fördern, sowie Designkonzepte zu entwickeln, die die Qualität nachbarschaftlichen Lebens erhöhen. Mit Hilfe von Interventionen, dem bewussten Eingreifen in die existierende Nachbarschaft, wird der Bezug der Menschen zu ihrem direkten Umfeld exploriert und der bestehende Nachbarschaftsbegriff hinterfragt.

Das Leben in der Großstadt ist unweigerlich mit Anonymität verbunden. Als gebürtige Berlinerin empfinde ich das nicht unbedingt negativ. Doch als direkt in der Nachbarwohnung zwei Bewohner innerhalb kurzer Zeit verstorben sind und ich davon erst Wochen später erfahren habe, stellte sich mir die Frage: Wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen der als Freiheit empfundenen Anonymität der Großstadt und dem »Nebeneinanderhervegetieren« von Menschen, die direkt nebeneinander wohnen? Das war der Auslöser für die Beschäftigung mit dem Thema Nachbarschaft.

Nachbarschaft beschäftigt Architekten, Soziologen, Städteplaner. Genau wie Architektur die Art beeinflusst, wie wir leben, kann Design aktiv beeinflussen, wie wir uns verhalten. Als Designer können wir an der Schnittstelle der Disziplinen arbeiten und haben die Chance, Erkenntnisse zu kombinieren und daraus neue Herangehensweisen zu entwickeln, die idealerweise Verhaltensänderungen hervorrufen.

Das Forschungsfeld befindet sich an der Schnittstelle der drei Stadtbezirke Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain. Ein Hochhaus an einer Kreuzung, an der viele Gegensätze aufeinander treffen: Hier leben Professorin und Zeitungsverkäufer, Kinder und Rentner, Zugezogene und Alteingesessene: Ein Querschnitt durch die Berliner Bevölkerung. Zusammen mit dem Designer Jonas Breme habe ich mich dem Thema Nachbarschaft auf verschiedene Arten genähert: In Interviews und partizipativen Workshops Gewohnheiten und Bedürfnisse der Bewohner untersucht. So haben wir beispielsweise herausgefunden, dass auch in einem Hochhaus durchaus funktionierende nachbarschaftliche Netzwerke existieren. Gerade langjährige Bewohner verfügen oftmals über ein großes soziales Netzwerk im Haus. So hat uns eine ältere Bewohnerin zu dem »Ureinwohnertreffen« eingeladen. Dort treffen sich die »Alteingesessenen« jährlich auf einer anderen Etage zu einem gemeinsamen Umtrunk. Daneben gibt es jedoch auch Bewohner, die wenig mobil sind oder den Moment der ersten Kontaktaufnahme verpasst haben; sie verfügen über wenige oder gar keine nachbarschaftlichen Kontakte und führen daher eine Art unfreiwilliges Nebeneinanderherwohnen. Und es gibt Bewohner, die bewusst anonym wohnen möchten.

Say hello to Mimosa!

In Interviews zeigte sich, dass der Fahrstuhl einer der wenigen Begegnungspunkte im Haus ist und gleichzeitig ein Ort, an dem sich Bewohner in der Regel anschweigen. Was passiert, wenn man etwas an diesen Ort bringt, das dort nicht hingehört und das dann noch auf die Interaktion der Menschen reagiert? Mimosa ist eine Intervention im Fahrstuhl. Sie soll die Barriere für eine Interaktionsaufnahme verringern. Neben der Funktion als Eisbrecher visualisiert Mimosa die stattfindende Kommunikation im Fahrstuhl. Die Reaktionen der Bewohner sind dabei sehr verschieden.

Crossnotes – Ein Wohnzimmer im Park, Notizen einer Kreuzung und eine Truhe voller Geschichten

Mit Crossnotes untersuchen wir, inwieweit persönliche Erlebnisse und Geschichten die Verbundenheit zu einem Ort stärken können. In einer Serie von Experimenten testen wir Eingabemöglichkeiten für das Einsammeln und Konservieren von Geschichten: Marker im öffentlichen Raum für kurze Notizen, ein Wohnzimmer im Park für Anekdoten aus der Nachbarschaft und eine Truhe im privaten Raum zur Schilderung persönlicher Erinnerungen. Zur anschließenden Sichtbarmachung vor Ort entwickeln wir Konzepte und einen Prototypen: Eine mobile Box, die als Geschichtenerzähler fungiert, tourt durch die Nachbarschaft und macht die gesammelten Geschichten im Kiez erfahrbar.

Mehr zu der Arbeit gibt es hier.

- Stephanie Neumann