Roundup: Hybrid Talks XXIII »Virtuelle Realität«

Vor dem Hybrid Lab

Anlässlich unserer 23. Hybrid Talks begaben wir uns in die »andere« Realität, die virtuelle (VR). Bereits 1982 tauchte der Begriff »virtual reality« in dem Science Fiction Roman »The Judas Mandala« von Damien Broderick auf und hat seitdem große Entwicklungssprünge zurückgelegt. Heute wird das Virtuelle nämlich tatsächlich begehbar gemacht. In vielen Bereichen kann »virtuelle Realität« neue Forschungsfragen erzeugen, Medienproduktion und –rezeption verändern oder einfach nur Spaß machen, wenn sie etwa in Videospielen oder auch bereits in Filmen Verwendung findet. Unsere ReferentInnen öffneten uns die Türen in diese neue Welt und boten einen wunderbaren Über- und Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der VR.

Bereits die Gästeanzahl an diesem Dezemberabend ließ auf das hohe Interesse am Thema schließen. Im gut gefüllten Hybrid Lab eröffnete Prof. Kora Kimpel die Talks und kündigte den ersten Referenten, Prof. Klaus Gasteier von der UdK Berlin, an. Sein Vortrag »Virtual Reality zwischen Reflexion und Kreation« war ein Erfahrungsbericht über das letzte halbe Jahr mit einem neuen Medium, welches es auszuprobieren und auf sein Versprechen hin zu testen galt. Die zentralen Fragen dabei waren: Wie geht man mit einem nicht eingelösten Versprechen um und welche Gestaltungsmöglichkeiten hat man stattdessen? Nach einer kurzen Reise in die Vergangenheit und Entwicklung der VR vom Sensorama (1957) über den Power Glove (1989) bis hin zur Oculus Rift (2015) und der HTC Vive (2016) ging es in das VR Lab des Medienhauses der UdK: Hier wurde erst einmal spielerisch erfahren, wie Menschen reagieren, zum Beispiel wenn sie plötzlich vor dem Bundeskanzleramt auf der Toilettenschüssel sitzen. Des Weiteren wurde der Vorschlag gemacht, durch VR Kühen ein besseres Leben zu bescheren. Bei all diesen Überlegungen und Versuchen haben sich fünf Baustellen herauskristallisiert: Die Kopplung virtueller und sensorischer Erfahrung, das Spannungsfeld Bewegtbild und Raum, in diesem Sinne besonders so genannte VR Treadmills, die Klarheit von agency (Direktheit der Steuerbarkeit) und affordance (Aufforderungscharakter) und die Probleme des storytellings aufgrund des Ausbleibens von Leerstellen.

In dem folgenden Zwiegespräch zwischen Dr. Carolin Wienrich und Felix Noller von der TU Berlin wurden ganz im Sinne des hybriden Arbeitens virtuelle Interfaces vorgestellt, die anhand eines Design-orientierten, als auch wissenschaftlichen Ansatzes entwickelt wurden. Interfaces in der VR sind in Computerspielen, in Apps oder als Desktophintergründe zu finden. Sie können dabei das Spiel, die Bewegung oder die Navigation steuern. Daraus leitete sich die Frage ab: Gibt es Regeln oder Prinzipien für die Gestaltung von VR Interaktionen? Dr. Carolin Wienrich ging an diese Frage selbstverständlich theoretisch heran und schlug dem Masterstudenten Felix Noller für seine Abschlussarbeit die Untersuchung bereits vorhandener 2D Elemente vor, um einen möglichen Nutzen für die VR herauszuarbeiten. Daraus wurden dann Designprinzipien abgeleitet, die von Experten evaluiert und von Nutzern in einem Workshop ausprobiert wurden. Aus der Sammlung wurde dann ein Prinzip namens »Break Free« ausgewählt. Es beinhaltet das Freimachen von der gewohnten 2D-strukturierten Interaktion. Daraus wurden zwei Prototypen entwickelt, eines welches das Prinzip umsetzt und eines ohne diese spezielle Umsetzung. Die Ergebnisse dieser Forschung können in einer digitalen Ausstellung weiterverfolgt werden.

Prof. Dr. Stefan Weinzierl von der TU Berlin präsentierte eine perspektivisch andere Herangehensweise, denn er und seine Forschergruppe haben versucht eine historische Umgebung zu simulieren: Mithilfe eines 3D Modells des Forum Romanum konnte eine akustische Simulation der auf dessen Tribüne gehaltenen Reden erstellt werden, die Aufschluss darüber geben sollte, wie viele Menschen ein Redner wie Caesar oder Cicero erreicht hatte. Daraus ist ein Film entstanden, der zeigt, wie sich die Akustik mit zunehmender Entfernung zur Tribüne verändert. Ob man hieraus jedoch wirklich Erkenntnisse gewinnen kann, ist derzeit noch umstritten. Einwände, so Prof. Dr. Weinzierl, seien Realitätsferne und Erlebnissimulation. Die Simulation, die Codierung und die Reproduktion können jedoch geprüft und bewertet werden, sodass ein höchstes Maß an Neutralität gegeben ist. Außerdem kann man eine historische Kultur einfach wie eine fremde ethnologischen Kultur handhaben und sich der Methoden der Ethnologie bedienen, um sich so in die weit zurückliegende Vergangenheit zu versetzen.

An der Schnittstelle Architektur, Film und Gaming befindet sich Alexander Peterhaensel von der UdK Berlin und seine künstlerische Forschung zum Thema »Reality Computing«. Architektur und Film treffen beispielsweise anhand ihrer Visualisierungsstrategien aufeinander, denn Software wie »Shot Pro« können Planungstool und Storyboardingtool in einem sein. Es können also Gebäude und eben auch Szenen eines Films geplant werden. Dazu werden vorerst Daten aus dem physischen Raum erhoben und gescannt. Im weiteren Schritt werden die Daten in das Virtuelle verfrachtet und bearbeitet, um dann wieder zurück in die Realität projiziert zu werden (Projektionen, 3D Drucker, Produktionspipeline von Robotern). Dies ergibt einen so genannten Feedback Loop, der in dem Begriff eines der präsentesten Produktions-Paradigmen unserer Zeit »Reality Computing« zusammengefasst wird. Eines der wohl populärsten Beispiele hierfür wäre die filmische Produktion von »Gravity« (2013). In seiner Arbeit beschäftigt sich Alexander Peterhaensel mit genau diesen Feedback Loops und wie man sie in der Kunst benutzen kann – fernab von wirtschaftlichen Standards.

Zu guter Letzt berichtete Dr. des. Linda Rath-Wiggins von VR im Journalismus, denn ihr Unternehmen Vragments hat sich auf die Produktion von journalistischen VR Projekten spezialisiert. Dabei sind bereits der virtuell begehbare U-Bahnhof Stadtmitte oder sogar der Flughafen BER entstanden, die Möglichkeit in die Lunge hineinzuschauen oder sich in die Lage eines Verhörten im Stasi-Gefängnis hineinzuversetzen. VR ist damit unter Anderem zu einem neuen Medium für Journalisten geworden, um Geschichten anders zu erzählen. Da diese Produktionen allerdings viel Kosten, Zeit und Skills beanspruchen, hat es sich Vragments zur Aufgabe gemacht ein einfaches Werkzeug zu entwickeln, um journalistische Arbeit in die VR einzubetten. Ihr Prototyp »Fader« ist eine Kamera, die zu Presseterminen, Berichterstattungen und Interviews mitgenommen werden kann und mit dem später dann Szene für Szene unterschiedliche Medientypen kombiniert werden können.

Im Anschluss an die Talks konnten die HTC Vive ausprobiert sowie die Soundstage von Prof. Dr. Weinzierl erneut angeschaut und -gehört werden. Wir bedanken uns wie immer bei den ReferentInnen und unseren Gästen.

– Lina

Talks verpasst? Hier gibt es sie zum nachhören.