Roundup: Hybrid Talks XXIV »Zeit«

Hybrid Talks »Zeit«

Zeit – umso länger wir uns dem Thema widmen, desto mehr begreifen wir, wie sehr »Zeit« den Takt unseres Lebens bestimmt. Zeit ist ein Maß, eine physikalische Größe, eine historische Einordnung, ein Instrument zur Organisation unserer Gesellschaft und unserer eigenen Lebenszeit. Wir nutzen Zeit nicht nur »richtig«, sondern spielen auch mit ihr: in sämtlichen künstlerischen Sparten ist Zeit zentrales Element der Narration, spiegelt sich wieder durch Symbole, Sujets oder Bildsprache. Die Fragen, welche Dimension »Zeit« einnehmen kann und welche Bedeutung sie für uns persönlich, für die Künste und Wissenschaft hat, bildeten den Fokus der nunmehr 24. Hybrid Talks.   

Auch dieses Mal stieß das Thema auf großes Interesse. Voll besetzt bis in die hintersten Reihen lauschte das Publikum gespannt der Einführung von Prof. Kora Kimpel und horchte auf, als das Mikrofon anschließend an Prof. Dr. Bernd M. Scherer überreicht wurde. Der Philosoph und Intendant des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin widmete sich in seinem Vortrag »Die Algorithmen der Zeit« dem veränderten Verständnis von Zeit. Anhand der Geschichte der Standardisierung von Zeit machte er ersichtlich, wie »Zeit« nicht nur zur Synchronisierung von Arbeitsprozessen eingesetzt wurde, sondern mit ihr auch eine Kultur der Beschleunigung eingetreten ist, in der »Zeit« als knappes Gut wahrgenommen wird. In der Jetztzeit angekommen, entwickeln sich Technologien und mit ihnen die Arbeitswelt in immer kürzeren Zeitabschnitte, sodass Zukunft und Vergangenheit auf die Gegenwart reduziert und Sinnhaftigkeit artifiziell produziert werden muss.

Prof. Dorothea Weise eröffnete daraufhin einen Einblick in die Musikpädagogik und die Relevanz der Zeit hier. In ihrem Vortrag »Fließen und Schneiden. Zeiterleben durch Rhythmus« beschrieb sie Musik und Poesie, Bewegung und Tanz als Ausdrucksmittel, um Zeitlichkeit zu erfahren. Zeit kann nur als Differenz aus äußeren und inneren Rhythmen wahrgenommen werden. In der Musikwahrnehmung spricht man dabei von multiplen, paradoxen Zeitverläufen. Das subjektive Empfinden von Musik ist keine chronologische Aufnahme von Daten, sondern ein Schwingen zwischen verschiedenen Zeitverläufen und -mustern.

Es folgte der Physiker Prof. Dr. Eckehard Schöll mit dem Vortrag »Das Mysterium der Zeit in der Physik: Raum-Zeit-Kontinuum und Zeitpfeil«. Tief hinein in die Physik begaben sich die Zuhörer und erfuhren, dass Zeit physikalisch keine absolute Kategorie darstellt. Vielmehr ist Zeit eine Koordinate wie die des Ortes. Mit diesem Befund lassen sich Transformationen im Raum-Zeit-Gefüge anstellen, die unser Verständnis von Kausalität in Frage stellen; der Bereich des Möglichen liegt dabei im Lichtkegel des Raum-Zeit-Kontinuums. Der Zeitpfeil der Thermodynamik hingegen geht immer nur in eine Richtung. Auf diese Irreversibilität des Zeitpfeils weiß nur die Informationstheorie nach Shannon einen Ausweg, so schlussfolgerte Eckehard Schöll.

Beinah naturwissenschaftlich ging es weiter mit der Künstlerin Prof. Nina Fischer und ihrem Beitrag »»Spirits Closing their Eyes« - Über die Halbwertszeit der Erinnerung«. Hierbei stellte sie ihr gleichnamiges Filmprojekt vor, dass sie in Japan 2 Jahre nach dem verheerenden Reaktorunfall in Fukushima gemeinsam mit Maroan el Sani realisiert hatte. Das Ergebnis des Projekts ist eine dreiteilige Videoinstallation, in der Erinnerungen und Reflexionen einheimischer Menschen über die atomare Katastrophe festgehalten sind. Das Besondere der Installation: ein Algorithmus sorgt für unendlich viele Konstellationen und somit für ein Fortbestehen der Erinnerungen.

Abschließend beschrieb Prof. Dr.-Ing. Nele Rußwinkel mit »Wie unser Handeln die Wahrnehmung der Zeit beeinflusst«, welche Einflussmöglichkeiten technische Geräte auf das subjektive Zeitempfinden haben. Ist das Individuum hohen koordinativen Anforderungen ausgesetzt, kommt es häufig zu Fehleinschätzungen, da das subjektive Zeitempfinden nicht der Realität entspricht. Technologie kann hierbei helfend einwirken, solange antizipatorische Prozesse in der Gestaltung der Technologie mitbedacht werden.

Wir bedanken uns bei allen Gästen für ihre Zeit und dem Publikum für ihre Aufmerksamkeit. Bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt: 10 Minuten.

– Marius

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