Hybrid Thoughts zu »Emotionen« in der Wissenschaft

© Manuel Wagner

Unsere neue Reihe der »Hybrid Thoughts« befasst sich jeweils mit einem Thema, das aus wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektive beleuchtet, diskutiert und weitergedacht wird. So stärken wir den Blick jenseits unserer Expertise, zeigen, wie nah und fern Wissenschaft und Kunst/Gestaltung sein können, oder entfachen neue Ideen, Netzwerke, Schnittmengen in der interdisziplinären Arbeit.

Heute präsentieren wir den ersten Beitrag dieser Reihe zum Thema »Emotionen« in der Wissenschaft. Dr. Jochen Steffens hat für uns seine Forschung, Gedanken und Antworten auf die Frage: »Welche Potenziale stellen Emotionen in der Wissenschaft dar?« zusammengefasst. Nächste Woche wird der Perfomance-Künstler und Stipendiat der UdK Berlin, Marco Donnarumma, zu Wort kommen.

Dass Musik hervorragend dafür geeignet ist, Emotionen in uns hervorzurufen, wissen wir alle aus alltäglichen Erfahrungen. Dies wurde auch im Vortrag von Dr. Steffen Lepa bei den 22. Hybrid Talks »Emotionen« deutlich. Während zum Beispiel morgens aufmunternde und schnelle Popmusik zum Wachwerden dienen kann, so kann wiederum entspannende, klassische Klaviermusik zum abendlichen Dinner als passender erscheinen. Dies lässt die Frage aufkommen, ob es die »perfekte« Musik für eine bestimmte Situation gibt. Wenn ja, kann es uns gelingen, Musikempfehlungsalgorithmen zu entwickeln, die die Auswahl dieser Musik für uns in verschiedenen Kontexten übernehmen? Und können wir es ermöglichen, dass auch Stücke jenseits des Mainstreams und der »Big Player« der Musikindustrie in der Lostrommel zur Ziehung dieser perfekten Musik vertreten sind? All diese Fragen zeigen auf, welche diversen Anwendungspotentiale die Emotionsforschung im Kontext von Musik hat.

Für die Musikpsychologie stellt sich unter anderem die Frage, wie wir überhaupt über Musik sprechen oder wie wir sie in unterschiedlichen Situationen benutzen. Im Rahmen des ABC_DJ-Projektes wird derzeit ein Inventar aus ca. 50 Adjektiven entwickelt, das ermöglichen soll, den semantischen Gehalt von Musik über ihre emotionalen Wirkungen hinaus zu beschreiben. Zudem wird versucht, über die technische Analyse des Audiosignals und der Metadaten der Musikstücke (z.B. Genre, Erscheinungsjahr) sowie der Eigenschaften des Hörers (z.B. Alter, Geschlecht) die wahrgenommene musikalische Semantik und Wirkung vorherzusagen. Dies wiederum eröffnet wirtschaftliche Möglichkeiten, zum Beispiel im »Audio Branding«, d.h. im akustischen Markenbranding. Gelingt es zum Beispiel, an einem Verkaufsort die für eine Marke passende Musik zu präsentieren, so hat dies einen positiven Einfluss auf die Emotionen der potentiellen Käufer sowie die tatsächlichen Verkäufe. An diesem Punkt besteht die Chance, die Musikschaffenden in die Verwertungskette mit einzubeziehen und damit das Produkt Musik in wirtschaftlicher Hinsicht aufzuwerten. Unser ABC_DJ-Projekt sieht dabei explizit die Möglichkeit vor, dass auch unbekannten Künstlern und Musiklabels die Möglichkeit gegeben wird, ihre Kompositionen und Produktionen in großen digitalen Musikbibliotheken bereitzustellen. Die Musik wird dann mithilfe des entwickelten Algorithmus hinsichtlich ihres semantischen Gehalts analysiert und kann im Falle der Passung mit einem zu bewerbenden Produkt automatisch an dessen Verkaufsort dargeboten werden. Das ABC_DJ-Projekt ist damit prototypisch dafür, wie wissenschaftliche, künstlerische, technische und wirtschaftliche Aspekte in der Emotionsforschung zusammenlaufen können.

– Dr. Jochen Steffens

Dr. Jochen Steffens ist seit April 2016 Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Postdoktorand am Fachgebiet Audiokommunikation der TU Berlin und erforscht unter anderem die emotionalen, kognitiven und verhaltensbezogenen Wirkungen von Musik auf den Menschen. Im Rahmen des EU-Projektes ABC_DJ untersucht er unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Weinzierl gemeinsam mit seinen Kollegen der TU und weiteren sechs europäischen Partnern aus Wissenschaft und Industrie, wie Anwendungspotentiale der Wirkungen von Musik im Kontext des so genannten »Audio Branding« genutzt werden können.

Das Projekt ABC_DJ wurde im Rahmen des Horizon 2020, Forschungs- und Innovationsprogramms der Europäischen Union, durch die Finanzhilfevereinbarung No. 688122 gefördert.